Deutschland: Rolle in der Weltpolitik nach der Wiedervereinigung

Deutschland: Rolle in der Weltpolitik nach der Wiedervereinigung
Deutschland: Rolle in der Weltpolitik nach der Wiedervereinigung
 
Die Ereignisse der Jahre 1989-91, das Ende des Ost-West-Konflikts, der Zerfall des Warschauer Paktes, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die Auflösung der Sowjetunion haben das nach 1945 geschaffene weltpolitische System vollständig verändert. Es war gekennzeichnet durch die Existenz zweier politisch-militärischer Blöcke unter Führung der beiden Supermächte. Die Fähigkeit der Supermächte, die jeweils andere Macht zu vernichten, führte zu einem Gleichgewicht des Schreckens, das einen Krieg zwischen den beiden Blöcken ein halbes Jahrhundert lang verhindert hat. Das Blocksystem schloss Konflikte zwischen Mitgliedern aus und setzte einer eigenständigen Außenpolitik der Mitglieder enge Grenzen. Die Mitglieder unterwarfen sich der Blockdisziplin entweder freiwillig oder wurden von den Supermächten dazu gezwungen. Dies galt in besonderem Maße für die beiden deutschen Staaten, die Folgen des Ost-West-Konflikts waren. Außerhalb Europas sind nach 1945 zahlreiche Konflikte gewaltsam ausgetragen worden. Zählungen kommen auf mehr als 100 Kriege. Nach dem Ende des kalten Krieges und dem Fortfall der Disziplinierung durch die Supermächte ist der Krieg als Mittel der Politik auch nach Europa zurückgekehrt. Alte ethnische Konflikte brechen wieder auf und führen zu blutigen Kriegen und Bürgerkriegen, wie im ehemaligen Jugoslawien und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Kaukasus und in Mittelasien. Die Gefahren, die von diesen Konfliktherden ausgehen, werden verschärft durch die enorme Ansammlung von Waffen, besonders von Atomwaffen, auf den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion. Es ist nicht auszuschließen, dass Massenvernichtungswaffen an diktatorische Regime weitergegeben werden oder Terroristen in die Hände fallen. Immer mehr Staaten der Dritten Welt sind zudem in der Lage, selbst Atomwaffen mit den entsprechenden Trägersystemen herzustellen. Zugleich verstärken sich die Interdependenzen in der Welt dramatisch. Krisen in einem Staat haben unmittelbare Auswirkungen auf andere Länder auch in entfernten Weltgegenden. Eine stabilisierende Funktion im globalen System haben die großen westlichen Industrieländer einschließlich Japans. Sie haben die Führungsrolle in den internationalen Organisationen, den Vereinten Nationen, der NATO und der EU, denen die Krisenbewältigung obliegt, äußerstenfalls unter Einsatz militärischer Machtmittel. Deutschland, mit seinen beiden Teilen bis 1989 im Windschatten der Weltpolitik, gehört seit der Vereinigung zu diesen großen Mächten. Es ist nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft der größte Staat in Europa. Die internationale Staatengemeinschaft, besonders die Verbündeten in den politisch-militärischen Bündnissen NATO und Westeuropäische Union aber auch die Partnerländer in der EU und die UN erwarten, dass es die daraus folgende Verantwortung übernimmt. Innenpolitisch ist der Gedanke, Deutschland solle eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielen, sehr umstritten. Heftige Diskussionen quer durch alle Parteien entbrannten, als mit der von der Bundesregierung beabsichtigten Entsendung von Bundeswehreinheiten im Rahmen von UN-Missionen nach Ex-Jugoslawien und Somalia, dieses weltpolitische Engagement konkrete Formen annahm. Die Debatte wurde - im Ausland nicht immer nachvollziehbar - vorwiegend mit verfassungsrechtlichen Argumenten geführt. Schließlich erhob die SPD-Bundestagsfraktion Klage beim Bundesverfassungsgericht; die FDP schloss sich dem Gang nach Karlsruhe an. Das Bundesverfassungsgericht (siehe auch Bundesverfassungsgericht: Präsidentin Jutta Limbach - Befugnisse des BVG) entschied am 12. Juli 1994, dass ein Einsatz von Bundeswehreinheiten außerhalb des NATO-Bereichs zulässig ist, wenn der Bundestag mit einfacher Mehrheit zustimmt. Wenn diese Frage auch geklärt ist, so verdeckt die auf den Aspekt militärischer Einsätze verengte Diskussion, dass es um mehr geht, nämlich um eine grundlegende Neubestimmung der deutschen Außenpolitik, ihrer Leitlinien, ihrer Prioritäten und ihrer Instrumente. Alleingänge, auch in Form der Verweigerung, sind wegen der internationalen Verflechtung nicht möglich. Handlungsrahmen der deutschen Außenpolitik sind die EU, die NATO und die Vereinten Nationen. In diesen Organisationen aber muss Deutschland den ihm zukommenden Beitrag leisten.

Universal-Lexikon. 2012.

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